Louis Wessendorff – Werkansatz
Am Anfang war das Wort; beziehungsweise die Wortliste. Die Geschichte des künstlerischen Kosmos, die uns Louis Wessendorffs Arbeiten erzählen wollen, begann mit 52 Wörtern.
Den Schöpfer-Mythen monotheistischer Glaubensgemeinschaften gleich, stellte er, scheinbar willkürlich, eine erste von ihm so genannte „Liste“ zusammen, die man als regelrechtes Abbild – im Sinne eines Archivs – dieses kosmischen Gründungsakts bezeichnen könnte. Die Wörter seiner Liste sollten die Ursprünge, die Keimzellen, die Urahnen, die Gründungsmütter und -väter eines Kosmos bilden, den Wessendorff, wie im Reagenzglas, oder treffender: wie auf dem Reißbrett, hermeneutisch erschuf. Dazu ordnete er jedem Buchstaben des Alphabets ein Begriffspärchen, sozusagen ein Adams- und ein Eva-Wort, zu. Es spielte dabei keine Rolle, ob es Nomen, Verben oder Adjektive waren – welches schöpferische Prinzip hinter der Zusammenstellung steckt, bleibt auch weiterhin ein Rätsel. Alles was wir wissen ist, dass sie, erst einmal beziehungslos und ohne jede Bedeutung, zusammengetragen und, der alphabetischen Ordnung entsprechend, nummeriert und sortiert wurden.
Doch das sollte sich bald ändern. „Wessendorffs Liste“ war ja, wie gesagt, nur der Anfang. Er wusste, dass die durch die Begriffe repräsentierten „Dinge“ erst einen Sinn erhalten, demnach erst darstellbar würden, wenn er sie untereinander ins Verhältnis setzte. Ein postmoderner Schöpfer schafft nämlich keine hierarchisch organisierten Welten; er weiß um die relationalen Beziehungen der Dinge untereinander und um ihre Sinnlosigkeit ohne jedwedes Verhältnis. Und was für die Einzelteile gilt, gilt auch für die Einheit dieser.
Wessendorff erschuf eine zweite Liste und konnte endlich Bedeutendes mit Bedeutetem zusammenführen: Er glich jeden Begriff mit jedem anderen ab und stellte so, aus seiner für dieses System göttlichen Perspektive heraus, nach einer eigens entworfenen analogischen Methode, Zusammenhänge her. Zwei postmoderne Schutzheilige namens Gilles Deleuze und Felix Guattari nannten dieses Prinzip „rhizomatisch“. Begriffe, die nach Wessendorffs Auffassung korrelierten, erhielten Verbindungslinien und somit eine festgeschriebene Position im Feld der Begriffe. Um mit den Worten Roland Barthes, einem weiteren „Postpatron“, zu sprechen, wird jede Wechselbeziehung, aber auch nur wenn die Wörter für Wessendorff in Beziehung stehen, zu einem semiologischen System aus Bedeutendem (dem Ausgangswort), Bedeutetem (dem Vergleichswort), dessen Symbiose sich letztendlich zu einem Zeichen (die assoziative Gesamtheit der ersten beiden Termini) verbindet. Für Barthes beschreibt ebenjene Verkettung der Zeichensysteme die Mythologisierung der Dinge der Welt, wobei die Zeichen, sobald sie Teil des Mythos geworden sind, lediglich auf die reine Funktion ihrer Bedeutung reduziert werden. Das bedeutet, dass die Zeichen, also die Bildsymbole, die es in seinen Arbeiten zu entdecken gibt, ihren Teil an Sinn zur Welt beisteuern, damit diese verstanden werden kann. So wie sich Wessendorffs Welt von vornherein als eine verkettete darstellt, die ihren Ausdruck in einer multimedialen Vielfalt an Bildträgern findet, so sind auch die sie repräsentierenden Objekte nur relational zueinander zu verstehen und lassen sich meist erst mit einer rhizomatischen Lesart innerhalb des Wessendorffschen Kosmos begreifen.
Die Objekte werden zum einen vom Bildträger zum Datenträger transformiert und so gesehen ein Multimedia-Archiv, ein Ort der Wissensspeicherung, an dem Zeichen jeglichen Typs konserviert werden; zum anderen sind sie es erst, durch die die Mythen von den Dingen der Welt sichtbar werden. Louis Wessendorff schafft dafür großformatige Bilder, die das Verhältnis der bildgewordenen Zeichen darstellen, Metallinstallationen, die die diskursiven Formen zu einer Diskursformation verbinden, Zeichnungen und Druckgrafiken, die Raum für einzelne Symbole bieten, Comics, die die Schöpfungsgeschichte seiner Welt erzählen oder Videoarbeiten, die diese Geschichte in Bewegtbild umwandeln. Am Ende heißt es: Und das Wort ist Zeichen geworden und die Zeichen Mythen.
Felix Koberstein
Louis Wessendorff – work approach
In the beginning was the word; or rather a list of words. The story of the artistic cosmos that Louis Wessendorff‘s works want to tell us, began with 52 words.
Similar to creator myths of monotheistic faith communities, he put together, seemingly at random and arbitrary, a first “list”, which can be seen as a real image – in the sense of an archive – of this cosmic founding act. The words of his list should form the origins, the germ cells, the primeval ancestors, the founding mothers and fathers of a cosmos that Wessendorff, as if in a test tube, or more aptly: on the drawing board, hermeneutically created. For this purpose, he assigned a pair of terms to each letter of the alphabet, an Adam and an Eve word, so to speak. It didn’t matter if they were nouns, verbs or adjectives – the creative principle behind the composition remains a mystery. All we know is that they were unrelated and without any meaning, then compiled and sorted according to the alphabetical order.
But this should soon change. „Wessendorff‘s list“ was, after all, like I said, only the beginning. He knew that the „things“ represented by the terms would only acquire a meaning, and thus only become representable when he put them in relation to each other. A postmodern creator does not create hierarchically organised worlds; he knows about the rational connections of things among each other and of their meaninglessness without any relation. What applies to the individual parts also applies to their unity. Wessendorff created a second list and was finally able to unite the significant with the meaningful: He compared each term with every other and thus, from his divine perspective within this system, he was able to establish associations, according to his specifically designed analogical method.
Two postmodern patron saints named Gilles Deleuze and Felix Guattari called this „rhizomatic“ principle. Concepts that correlated in Wessendorff‘s view were given connecting lines and therefore a fixed position in the field of concepts. To use the words of Roland Barthes, another „postpatron,“ every interrelation will, but only when the words stand in relation for Wessendorff, become a semiological system of significant (the source word), meaning (the comparative word), the symbiosis of which finally results in a sign (the associative totality of the first two terms).For Barthes, this very concatenation of sign systems describes the mythologization of the things of the world, whereby the signs, as soon as they have become part of the myth, merely refer to the things of the world. They are reduced to the mere function of their meaning. This means that the signs, being the pictorial symbols that are to be discovered in his works, contribute their part of meaning to the world, so that it can be understood.
Just as Wessendorff‘s world presents itself from the outset as an interlinked one, which finds its expression in a multimedia multiplicity of image carriers, the objects representing it can also only be understood relationally to one another and can usually only be understood with a rhizomatic approach within the Wessendorff cosmos. On the one hand, the objects are transformed from an image carrier to a data carrier and thus become a multimedia archive, a place of storage of knowledge, in which signs of all types are preserved; On the other hand, it is only through them that the myths of the things of the world become visible. For this purpose, Louis Wessendorff creates large-format paintings that depict the relationship between the pictorial signs, metal installations that combine the discursive forms into a discursive formation, drawings and prints that offer space for individual symbols, comics that tell the story of the creation of his world, or video works that transform this story into moving pictures. At last we can say: the word has become sign and the signs, myths.